Wie gut sollen wir denn noch werden?
Blog: Jesus Lopez | Datum: 26.04.2020 | zurück zu allen Blogs
In Zeiten von Corona finden nun viele Menschen die Zeit, Dinge zu erledigen, die liegen geblieben sind und auch wieder Zeit, um an sich zu arbeiten. In den vergangenen Jahrzehnten sind immer mehr Coaches auf den Markt gekommen und viele gehen mit der Mission hinaus in die Welt, diese zu verändern und das große Geld zu machen.
Ich beobachte das Ganze mit einem sehr skeptischen Auge, da ich auch sehe, was dabei in vielen Fällen herauskommt. Ich arbeite seit 14 Jahren als Geistheiler und nutze auch Coachingtools. Hauptsächlich nicht um die Perfektion meiner Klienten zu fördern, sondern damit sie bei sich ankommen und zu sich selbst finden. Das wird auch jeder Coach von sich behaupten, aber ich werde auf die Fallen und die Marotten der ganzen Techniken und Tools in meinem Blog eingehen.
Spiritualität und Coaching
Aus dem Coaching wurden alle Elemente der Spiritualität entfernt. Lässt sich halt besser und mit dem Prädikat "seriös" verkaufen. In fortgeschrittenen Seminaren kommt das Thema Spiritualität dann wieder vor, wenn ich auch sagen muss, sehr oberflächlich. Wusstest Du, dass die NLP-Gründer in ihrer Anfangszeit die Kreuzigung von Jesus nachgespielt haben? Dass viele Coaching-Techniken nicht eine Modeerscheinung sind, sondern von alters her von weisen Männern und Königen verwendet worden sind? Jeder Mensch hat einen spirituellen Anteil in sich. Dieser wird jedoch nicht dadurch hervorgehoben in dem man fragt, was sind deine Werte. Spirituelle Anteile können im Coaching nur zum Teil aufgebaut werden.
Zu diesem Thema habe ich einmal von einem Coach gehört, der für Banken arbeitet.
In der Mittagspause saß er neben zwei Mitarbeitern, die sich abfällig über die Nachbarn des einen unterhielten, weil diese spirituell mit der 2-Punkt-Methode arbeiten würden.
Der Coach hörte es sich an, sagte jedoch nichts dazu. Im weiteren Verlauf des Tages arbeitete er mit genau dieser Technik mit den Teilnehmern, ohne sie jedoch beim Namen zu nennen. Die beiden Mitarbeiter waren hellauf begeistert von seiner Methode :-) - so kann es gehen! Hauptsache nicht spirituell :-)
Coaching und Stress
Die vorherrschende Mentalität, dass man nie gut genug ist sowie die Probleme des Lebens bringen Menschen früher oder später dazu, Lösungen zu suchen, um dem Leid zu entfliehen. Schnell zeigen sich dann auch die ersten Erfolge und Verbesserungen im Leben. Eine Schatztruhe neuer Erkenntnisse tun sich auf und neue Weltbilder werden übernommen.
Nun kommen wir aber zu einem Dilemma beim Selbst- und Coaching. Man wird nie genug sein!
Es gibt immer etwas, um sich zu verbessern und man kann dabei das Wichtigste verlieren – sich selbst.
Statt zur Selbstfindung zu gelangen, ist man auf der Flucht und kreist an den eigentlichen Themen vorbei. Dabei werden Anteile verleugnet, die ihren Anspruch im Leben haben.
Viele Krankheiten, wie Depressionen und Angstzustände, sind auf Stress zurückzuführen. Stressen kann man sich auch in seinem Selbstoptimierungswahn. Alles muss schneller und besser als gestern sein.
Nicht mehr reden können
Ich schrieb vorhin: Alles muss schneller und besser als gestern sein.
Jemand aus dem Coaching-Bereich würde mich korrigieren und mir erzählen wollen, dass man nicht "muss" sagt. Dass im Leben doch alles in unserer Entscheidung liegt und wir nichts müssen.
Auch z.B. so etwas Schönes wie anstelle von "aber" lieber "und" zu sagen.
Nicht: "Sie haben ihre Arbeit gut gemacht, aber dabei ist ihnen ein Fehler unterlaufen", sondern
"Sie haben ihre Arbeit gut gemacht und dabei ist ihnen ein Fehler unterlaufen."
Da gibt es noch viele weitere Beispiele, wie gesprochene Sprache umgedreht werden möchte.
Durch die eigene Selbstoptimierung verlernt man, besonders zu Anfang, zu kommunizieren und geht seiner Umwelt ziemlich auf den Wecker. Ein normales Gespräch ist kaum möglich.
Isolation ist der Dank dafür. Anstatt dies zu erkennen, verfallen sie lieber in den Glaubenssatz "die Anderen sind nicht auf meiner Wellenlänge, löse dich vom Ballast." Ein sehr einsamer Weg!
Limits und Grenzen
Jeder Mensch hat seine gesunden Grenzen und Limits. Die Erkenntnis, dass jeder Mensch solche Limitierungen hat, findet man in Coaching und Esoterik-Büchern sehr selten.
Es gibt keine Grenzen, greif zu den Sternen und tschakka.
Alle Potentiale ausschöpfen!
Ein Paradebeispiel für verfehltes Coaching und Motivationstraining ist für mich der amerikanische Präsident Donald Trump. Er hat seine Grenzen noch immer nicht erkannt. Die Außenwelt schon.
Das Leben ist sehr komplex
Wir leben in einer sicheren und wohlhabenden Gesellschaft. Wir können uns den Luxus von Fortbildungen und Weiterentwicklung leisten.
Doch das Leben hat viel mehr zu bieten, als nur nach eingefahrenen Spuren zu leben und dass jeder gleich reden oder denken sollte. Das Leben besteht nicht nur darin, Ziele zu erreichen und seinen Wert durch Leistung zu definieren.
Viele der heutigen Probleme resultieren aus der Selbstsucht vieler Menschen:
"Wie kann ich mein Ziel so schnell wie möglich erreichen?"
Meine Hoffnung besteht darin, dass ein größeres Umdenken sich langfristig ändert in:
"Wie kann ich nachhaltiger leben? Ist das, was ich mache, wertvoll für mich und andere? Ist es moralisch und ethisch vertretbar? Ist es anständig?"
Die Kunst zu Leben
Ich bewundere Japan für viele Lebensbereiche. Besonders aus allem eine Kunst zu machen:
Die japanische Blumensteckkunst IKEBANA,
die japanische Teezeremonie,
die Lebenskunst IKIGAI …
Statt sich nur auf die Selbstoptimierung zu konzentrieren, was sichtbar, messbar und quantitativ ist,
wie wäre es mit mehr Lebensqualität, mehr Werte und Charakter entwickeln, das Leben genießen, Wissen aufbauen, für andere Menschen da sein, mehr Lebenssinn entwickeln, einfach mal aus dem Fenster starren, anstatt gleich eine Meditation zu starten. Den Duft des Kaffees oder Tees bewusst über die Nase einatmen und genießen.
Wie wäre es, unser Leben als Kunstwerk zu betrachten? Unsere Aufgaben im Leben mit Leichtigkeit zur Kunst zu verwandeln? Es fehlt eindeutig an Liebe in deinem Leben? So nimm doch die Farbe
Liebe und bereichere dein Leben damit, z. B. ruf deine Eltern mal wieder an oder sag deiner Tochter, dass du sie liebst. Ein Mensch sollte sich selbst und andere nicht durch seinen Marktwert
beurteilen.
Machen wir das Beste aus unserem Leben, indem wir das Leben bewusster leben!
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Peregrine (Freitag, 13 September 2024 15:42)
Dies ist ein unglaublich gehaltvoller Artikel!
Innerlich spüre ich, dass ich gerade wieder an einem Knackpunkt stehe, wo sich die Türen der Vergangenheit nocheinmal weit öffnen. "Schau nach vorn und nicht zurück!" höre ich öfter, als ob die Früchte der Zukunft vom Himmel geflogen kommen, und nicht aus Samen gewachsen sind. Und woher weiß man, welche Frucht man isst, wenn man sich dem Samen und Pflänzlein nie zugewandt hat? Oder gar, wenn man die Früchte anderer isst, weil sie leichter zu haben sind?
Trotzdem erkenne ich den Drang nach Optimierung, dem Wunsch die eigenen Grenzen nicht zu achten, lieber ganz anders sein zu wollen und bestimmte Eigenschaften rausschneiden zu können.
Aber wie würde es aussehen, wenn man rausfinden könnte wann diese Eigenschaften 'schlecht' gemacht wurden, und was kann man tun, damit man sie besser akzeptiert?
Menschsein mit allen Macken und Schmissen in der Porzellankante ist schon so ein Ding...
Und gleichzeitig ist es eins der schönsten Zustände, wenn sich das Herz im Blätterdach einer Ulme verliert und die Augen die facettenreichen Farbtöne an Grün einfangen. Wenn die Seele atmen kann.